Zu den Arbeiten von Ingrid Janowsky
Maria Lucia Weigel
Das malerische Schaffen von Ingrid Janowsky nahm seinen Anfang im Jahr 2005. Die Begegnung mit einer neuseeländischen Künstlerin wurde ihr dabei zum Schlüsselerlebnis. Die harten Malgründe, die in deren Atelier Verwendung fanden, inspirierten Ingrid Janowsky zum Arbeiten auf Pappelsperrholz. Der feste Grund setzt der malenden Hand einen Widerstand entgegen; die Geste des Farbauftrags findet einen Gegenpart in der Haptik des bemalten Materials. Auch auf Leinwand, die zum Bemalen an der Wand befestigt wird, entfaltet sich das malerische Werk. Die Wahl der Malmittel, Acrylfarben, ist deren leichter Handhabbarkeit und der kurzen Trocknungszeit geschuldet. Acryl und Kreiden stellen seither die Mittel künstlerischen Ausdrucks; Aquarellfarben und Tuschen traten später hinzu. Die Malerin arbeitet mit Pinsel und Spachtel, die Formate variieren bis hin zum Großformat. Dem stehen kleinformatige Tuschzeichnungen gegenüber, die in jüngerer Zeit entstanden sind.
In frühen Arbeiten lotet Ingrid Janowsky das gegenständliche und figurative Potential von Seheindrücken aus. Diese Auseinandersetzung mit der Außenwirklichkeit mündet später in Kompositionen, in denen abstrakte Gestaltungen vorherrschen. Dem lag die künstlerische Intention zugrunde, weiter zu gehen als es die Maßgabe naturgetreuer Abbildung vorgab. Die Rückkehr zu figurativen Sujets hat ihren Auslöser in der nachhaltigen Faszination, die der Mensch in seinen vielfältigen Lebensvollzügen auf die Künstlerin ausübt. Der Wunsch, den Charakter, das innere Wesen einer Person malend sichtbar werden zu lassen, prägt das Schaffen von Ingrid Janowsky von Beginn an. Mit Humor und Neugier widmet sich die Malerin den kleinen Sensationen des Alltäglichen. Der Umgang mit Menschen stellt für die studierte Apothekerin einen wichtigen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit dar. Die künstlerische Auseinandersetzung ist Verarbeitung und zugleich kreative Anverwandlung dieser vielfältigen Begegnungen.
Ausgangspunkt des Malprozesses ist dabei stets ein amorpher Farbauftrag. Von diesem ausgehend, entwickelt Ingrid Janowsky Strukturen weiter, in denen sie kompositorisches Potential erkennt. Diese differenzieren sich im Lauf der Arbeit weiter aus; Figuren und Gesichter treten zutage. Die Auswahl der Farben, die zum Einsatz gelangen, entspringt der Gestimmtheit der Malerin. Emotionale Zustände finden auf diese Weise Eingang in die Werke, zeigen sich jedoch auch in den Bildsujets unterschiedlicher Serien.
Die Begegnungen im Berufsalltag finden ihren Niederschlag in einer frühen Serie mit dem Titel „Die Apothekerin“. Durch Linienkonturen klar definiert und vor zumeist einfarbige Gründe gestellt, präsentiert sich die Malerin selbst in Frontalansicht in der Interaktion mit wechselnder Kundschaft, die in Rückenansicht erfaßt ist. Sogleich fällt der erzählerische Ansatz ins Auge. Die bildlichen Szenerien gleichen literarischen Miniaturen. In den Blick der Malerin gerät dabei die Pointe der Geschichte, die, so unspektakulär sie sich gelegentlich darbietet, durch die Übergröße der Gesichter, die Eindeutigkeit des mimischen Ausdrucks und die leicht lesbare Bildstruktur unmittelbar eingängig im Bild festgehalten ist. Auch persönliche Gefühle, die sich als Reaktionen auf das geschäftige Treiben im Berufsalltag einstellen, werden in knappen Momentaufnahmen erfaßt. Ingrid Janowsky begibt sich in ihnen auf Distanz zu sich selbst, findet passende Bildvokabeln für das momentane Erleben und objektiviert es dadurch. Stets richtet die Künstlerin den Blick auf das eigene Selbst aus jener humorvollen Sympathie heraus, mit der sie ihren Mitmenschen tagtäglich begegnet. Zugleich teilt sie sich in diesen Arbeiten auf fast intime Weise dem Betrachter mit. Unter diesem Aspekt schützt Humor die Künstlerin vor seelischer Entblößung. In den Arrangements rücken bildliche Symbole in den Fokus, deren vordergründig surrealer Charakter aus der gedanklichen Konzentration auf professionelle Arbeitsabläufe erwächst. So kann das eigene Selbst im überdimensioniert ins Bild gesetzten Rundkolben gefangen sein oder auf einem kippenden Hocker balancierend mit übergroßen Apothekerflaschen hantieren. Ob sich die Gesichtsfarbe der so Dargestellten aufgrund der prekären Situation oder des Flascheninhalts wegen ins Grünliche wandelt, wird nicht ersichtlich, nimmt aber die Befindlichkeit über eine der Comicsprache entlehnte Darstellungsweise mit ins Bild. Die auf das Puppenhafte geschrumpfte Körpergröße der Personen fügt dem eine weitere humoristische Note hinzu.
In jüngerer Zeit manifestieren sich immer wieder abstrahierende Tendenzen im Werk der Malerin. Dabei ist das Ziel eine Auflösung der gestalthaften Form zugunsten der gestalterischen Werte von Farbe und freier Form.
Die Themenstellungen der Seminare aufgreifend, die Ingrid Janowsky in den folgenden Jahren an der Akademie der bildenden Künste Kolbermoor besucht, betitelt sie nun entstehende Serien mit „Fühlen ist Freiheit“ und „Am Anfang war der Klecks“. Sie zeugen von einer großen gestalterischen Bandbreite im künstlerischen Schaffen. Zum einen sind es großformatige Acrylarbeiten, in denen die Malerin Abstraktionen von der menschlichen Figur erkundet. Dabei tritt der Aspekt des Gestischen in den Vordergrund. Mit breiten Pinselstrichen wird Figuratives charakterisiert, in Grundformen zerlegt und in spannungsvolle Beziehung zu dem ebenfalls gestisch erschlossenen Malgrund gesetzt. Zum anderen spiegelt sich im Titel der Serie der auslösende Akt jeglicher Malprozesse. Stets bringt die Künstlerin Farbkleckse auf die Bildfläche auf, um aus diesen ihre Bildkompositionen zu entwickeln. Nun entstehen kleinformatige Tuschearbeiten. Die getropfte Farbe scheint im Moment des Auftreffens auf das Papier beseelt, sie birgt geheime Wesenheiten in sich, die es mit wenigen hinzugefügten Strichen zu enthüllen und figurativ auszudeuten gilt.
Aktuell widmet sich die Künstlerin einem breit angelegten Malprojekt, das den Titel „Anonyme Begegnungen" trägt. Wieder steht der Mensch im Fokus des kreativen Interesses. Städtereisen als ein bevorzugtes Format des Erlebens fremder Länder und Menschen liefern Stoff für mehrere Serien in unterschiedlichen Techniken. Grundlage bilden auch hier Fotografien. Insbesondere das Zufällige und Momenthafte der vom Gegenüber zumeist unbemerkt wahrgenommenen personalen Präsenz wecken das Interesse der Künstlerin. Es sind die gemächlich vorüberziehenden Besucher sehenswerter Orte, die, häufig nur als Torsi, fotografisch festgehalten werden. Die Umsetzung in Acryl-Malerei folgt dieser aus Respekt vor dem Recht am eigenen Bild anonymisierten Fixierung des Seheindrucks. Dadurch entstehen spannungsvoll gestaltete Kompositionen.
Vom Rand her schieben sich Gestalten ins Bildfeld, die von diesem stark angeschnitten sind. Das Fragmentarische verleitet den Betrachter dazu, die Körper zu vervollständigen – ein kognitiver Akt, der durch das tatsächlich Dargestellte immer wieder aufs Neue negiert und zugleich in Gang gehalten wird. Zudem legt die Malerin Wert auf die Ambivalenz der Ausformulierung von Figur und Grund. Beide werden in gleicher Wertigkeit wahrgenommen, sie stellen Figuration als alleinigen Ansatz grundsätzlich in Frage. Die Künstlerin sieht beide als unterschiedliche Aspekte ein und desselben bildlichen Kontinuums. Die Erfahrungen, die in früher entstandenen Serien im Mittelpunkt der malerischen Erkundungen rückten, fließen nun als gezielt eingesetzte gestalterische Strategie in das Werk ein. Absichtsvoll, aber subtil akzentuieren Farbkontraste die Bildfindungen – ein Pink belebt das in Grau gehaltene Motiv einer Hockenden, indem es zweimal in wohlausgewogener Gewichtung zum Einsatz kommt; roter und grüner Mantel bilden einen klassischen Komplementärkontrast aus. Gelegentlich verzichtet die Künstlerin auf Buntfarbe und gestaltet Szenen in Grauwerten. Hier wie dort erzielt sie durch Partien diffus vermalter Farbe einmal mehr eine Verschmelzung von Figur und Grund. Insbesondere in Arbeiten in Spachteltechnik wird diese Verschränkung der Bildebenen auch über die Art des Farbauftrags selbst erreicht. Wie aufgefächert treten Grund und figurative Partien dann zutage; in dieser für alle Bereiche der Bilder geltenden Arbeitsweise bewirkt die Technik eine Vereinheitlichung der Farberscheinung und zugleich eine Auflösung der Zuordnung einzelner Partien zu bestimmten Bildmotiven.
In Tuschearbeiten auf Papier kommt die Kombination von Pinsel und Feder, die bereits die Serie der Klecksbilder prägte, erneut zum Tragen. Dabei wird das figürliche Motiv, wiederum stark vom Blattrand angeschnitten, zunächst im Lineament angelegt. Konturen können durch wässrig mit dem Pinsel aufgetragene Farbe mit wenigen Strichen zu einer menschlichen Gestalt vervollständigt sein, in den in Naß-in-naß-Technik ausgeführten Aquarellen zerfließen dagegen die Linien. Die Binnenzeichnung wird mal mehr, mal weniger sparsam in einem letzten Arbeitsschritt eingetragen.
In der Ausschnitthaftigkeit der zur Serie gehörenden Arbeiten liegt für Ingrid Janowsky eine große Freiheit: Das Bild hat mehrere Deutungsebenen, Eindeutigkeiten lösen sich auf und geben einer dem Betrachter in der individuellen Anmutung anheimgestellten Lesart Raum.
Die Suche nach immer neuen Techniken begleitet und motiviert die Malerin seit jeher in ihrem Schaffen. So entstehen gerakelte Bilder, in denen die Struktur des Atelierbodens als Bildzeichen sichtbar bleibt, Farbe wird geschüttet.
Freude zu bringen ist eine der wesentlichen Antriebsfedern schöpferischen Tuns. Den Menschen in der Vielfalt seines Seins zu erfassen steht dabei stets im Zentrum des Wirkens von Ingrid Janowsky.